Siegfried Otto-Hüttengrund 13.03.-12.05.2019

13.03. – 12.05.2019
Siegfried Otto-Hüttengrund
Stilles Glühen verfallener Zeit

Plakat und Einladung

„Apocalypsis cum figuris“

Einen Musentempel zu errichten ging er hin und ritzte mit feinsten Werkzeugen Linien ins Holz zu erzählen die Geschichte von Liebe und Tod. Und als das Werk vollendet, nahm er den Druckstock und tat Farbe darauf, auf dass der Mythos lebendig werde.
Bald entstiegen dem Holze Daphne und Aphrodite, Prinzessin Sabbath und Leda.
Der Königin der Toten, Prosperina, folgt Adel.
Die schwarze Anima erscheint Medusa Leben einzuhauchen.
Es erwachen Lilith und mit ihr der Garten Eden, darin sich ein Paar verfängt im hölzernen Geäst.
Nachdem er alle Figuren erwecket, erhellt sich sein Antlitz. Er verlässt das Schattenreich der Toten und legt – des Schaffens ein wenig müde – sein Werkzeug und sich selbst darnieder. Alsbald beginnt sich seiner ein Traum zu bemächtigen…von Mythen und Wesen vergangener Zeiten und derer, die vor vielen Jahrhunderten begannen wie er Geschichten in Holz zu meiseln.

„ Götterfreuden“ – Lied

Hätte es die Musen nie gegeben… Wären die Götter ohne sie in Versuchung geraten?
Malten die Maler so sinnlich – ohne sie?
Was, wenn die Muse den Maler verlässt? Was dann?
Zunächst sind da nur Ebenen – durchfurcht, trostlos, kahl. Dann erscheinen sie, die Gestalten der Unterwelt, bevölkern Bild und Landschaft, vermehren sich zuhauf, bis sie das Finstre ganz getilgt haben. Doch darunter schimmern bereits lichte Stellen. Der Maler gräbt sich durch die Dunkelheit und seine Gedanken, die ihm Dunkles sagen –  da scheint das Krüglein Bläue in das kleine Fenster seines Ateliers hinein. Es lässt tröpfchenweise Farbe auf das Haupt des Künstlers niederfallen. Er hebt den Blick und sieht geradewegs hinein in das Gesicht des Lichtwesens, Muse genannt. Schnell, schnell! Er versucht es zu fangen, bevor es ihm wieder entgleitet, alles Lichte und Helle.
Verdammt. Verschwunden. Grimmig schaut er aufs Papier.

OVID

…nun hat er sie wieder – die Muse!
Glaubt er. Fängt an wie wild den Druckstock zu bearbeiten. Das kostet Kraft und die Muse hat nicht ewig Zeit. Der Tag neigt sich dem Ende zu und dem Künstler sinken erschöpft die Hände in den Schoß.
Plötzlich hört er Musik wie von fern, „den Muschelton, die Windfanfare, und dann noch einmal…ganz deutlich: den Schmerzton, den Ruf von weither, die geisterhafte Musik. Komm! Komm! Nur einmal komm!“ (Ingeborg Bachmann aus „Undine geht“)

„Der kleine Tod“ – Lied

Er legt den Druckstock zur Seite – denn nun ist er hellwach. Auf Büttenpapier entsteht „Das Mädchen und der Tod“ – ein Gedankenspiel. Er variiert das Motiv viele Male, lässt das Mädchen auf dem Boot den Fluss hinunterfahren, den Tod an der Angel – oder dieser sie? Lässt den Tod dem Mädchen ins Genick greifen, wenn es süchtig geworden sich selbst aufgibt.
Doch wo der Tod, ist auch das Leben und siehe da:
Es ist –  die „Springkrautprinzessin“, die aus den Tiefen des Sumpfes sich an ihren eigenen Haaren herauszieht. Im Muschelgrund hat sie gelegen und geträumt und ein Pinselschlag hat sie erweckt.
Jetzt beginnt der Maler wieder an sie zu glauben, die Musen.


Siegfried Otto Hüttengrund sagt:

„Das Sein ist das Echo meiner Absichten; und meine äußeren Imaginationen sind ein Spiegel meines inneren Reichtums, die Zukunft der Gegenwart fängt immer in der Vergangenheit an.“
Es begann mit Albrecht Dürer. Dort sieht er seine Wurzeln. In dessen großartiger graphischer Holzschnittkunst. Wie vor ihm 1905 Ernst Ludwig Kirchner entdeckte Siegfried Otto Hüttengrund die Kunst des Holzschnittes bei ihm, dem großen Künstler des 15.Jahrhunderts. Nicht von ungefähr benennt er die aktuelle Ausstellung nach Albrecht Dürers gleichnamigen Holzschnittzyklus: „Apocalypsis cum figuris“, der die Offenbarung des Johannes darstellt. Seine Themen jedoch sind die Sagen der Antike. Seine Technik ist die des Holzrisses, die filigraner als der Holzschnitt die Figuren herausarbeiten kann. Seine Besonderheit: die Gestaltung zu Farbholzrissen. Grün-Gelb-Orange-Verläufe erinnern an die Farbgebung in Aquarellen. Siegfried Otto Hüttengrund kommt von der Radierung. Im Holzriss kann er genauer arbeiten, aber auch experimenteller.

Wieder ein Zitat von ihm: „Es sind die Wunden im Holz, die das Bild aus dem Druckstock lösen, und es sind die Wunden, die den Menschen zum Menschen machen.“

Deshalb gelangt er über die Metapher Landschaft zur Metapher Mensch im Mythos. Ihn ziehen Gegensätze wie Werden und Vergehen, Liebe und Tod zur Darstellung an. Er findet Anregungen in der Literatur, wie bei Christa Wolf und Heiner Müller, bedient sich malerischer Vorbilder: Max Ernst, René Magritte, Werner Tübke. Er studiert die Zeichnungen von Richard Müller. Auch wenn dieser die Muse, also die Frau, in einem anderen Kontext betrachtete, ist doch dessen Metapher „Die Schöne und das Biest“ auch in Hüttengrunds Werk wiederzufinden. Der Tod allemal, grausam und von verhaltener, geheimnisvoller Nähe. Die Auseinandersetzung mit Müller in finaler Gegenüberstellung im zeichnerischen Stil Müllers: Hommage mit Totenkopf und Maus. Daneben zu finden: ein Selbstbildnis, gleichfalls mit Totenkopf.

Siegfried Otto Hüttengrund,1951 geboren – den Zusatz Hüttengrund wählte er nach seinem Geburtsort – lebt und arbeitet in Hohenstein-Ernstthal. Er wandte sich während seines Studiums an der Hochschule für Bildende Künste Dresden intensiv den graphischen Techniken zu und ist seit 1982 freischaffend tätig. Als Mitglied des Sächsischen Künstlerbundes begleitete er 120 Ausstellungen weltweit. Es finden sich Arbeiten von ihm in Kunstsammlungen und Museen der Welt.

Neben Holzschnitten malt er Ölbilder und fertigt Skulpturen. Davon ist in dieser Ausstellung – aus Platzgründen – leider nur ein Stück zu sehen: „Das wahre Selbst“. Aber was ist das schon, das „wahre Selbst“…
„Jedermann erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“, meinte Max Frisch. Siegfried Otto Hüttengrund wühlt die Vergangenheit auf und mischt sie neu mit Themen der Gegenwart. Was würde also besser als Abschluss passen, als eine „Muse“ sprechen zu lassen…?!


„Big Spender“

Solvig Frey

21.9.2014